ein literarischer Abend mit Paul DIVJAK, FRANZOBEL und Michael LENTZ
Konzept: Christian Steinbacher
VERSATZSTüCK, ZERRUNG, SPRACHTUMULT:
Die treibende Prosa der Bachmannpreisträger Franzobel und Lentz zeigt sich im Einbeziehen von Sprechsprache verwandt. Lentz’ Redeschwall fügt dabei oft einfache, karge “Sprache von der Straße” in einen rasanten Sog; Franzobels überschreibungen dagegen treiben diverses Sprachmaterial in ein anarchisch wucherndes Fantasieren. Die Montagen des jungen Autors und Medienkünstlers Divjak wiederum greifen auf Sprechblasen zurück. Sowohl Divjak als auch Lentz inszenieren ihre Texte über verschiedene Artikulationsgeschwindigkeiten.
Paul Divjak, geboren 1970 in Wien, lebt ebendort. Das Arbeitsgebiet des Autors und Medienkünstlers umfasst neben seinem literarischen Tun wesentlich auch Ausstellungen, Kurzfilme und Kunst-Publikationen (aktuell der im Folio Verlag publizierte Kunstband Alpine Interventionen) sowie Musikvideos und andere Musikveröffentlichungen (im Herbst erscheint Divjaks neue CD rauschgold). Als Autor veröffentlichte Divjak in der edition selene die Prosabände eisenbirne, lichtstunden und zuletzt (2002) schattenfuge; kommenden Herbst erscheint der Band Hinter der Barriere bei Ritter. Und auch mit Theatertexten ist der Autor präsent (zuletzt im Vorjahr mit dem Dramulett sofa surfen, einer zeitgenössischen Paraphrase auf das Wedekind’ sche “Frühlingserwachen”, im Kasino des Burgtheaters). Divjaks Literatur lebt wesentlich von der Auseinandersetzung mit der uns umgebenden Medienwelt und ihren Schablonen. In seinem letzten Prosaband schattenfuge werden Schatten von Gedanken und Erinnerungsbildern in kurzen, prägnanten Sätzen zu Stimmungssplittern gefügt und diese in eine rhythmische Abfolge gebracht. Es sind Gedanken und Bilder einer Selbstauflösung und eines überdrusses in einer Welt aus Wunschmaschinen und Plansequenz: “belastungsproben” gibt es da als “gratismuster”, und uns als “definierten hüllen” bleibt allenfalls ein “persönliches minimalprogramm”. Der Autor wird einen neuen Theatertext vortragen: soloflug besteht aus Versatzstücken, aus allgemeinen Platituden, Testfragen, Rudimenten von Gesprochenem aus dem TV. Das erinnert u. a. an Divjaks erste literarische Versuche seiner “zapp poesie”, mit der er 1997 in der MAERZ zu hören war. Diverse Sprechtempi transportieren die diversen Emotionen hinter den Texten. “das imaginäre hat uns alle im griff.” So das Motto.
Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, lebt in Wien und zeitweise in Argentinien. Zu Beginn Bildender Künstler, konzentrierte sich Franzobel mit Anfang der 1990er-Jahre ganz auf das literarische Handwerk. Eine Fülle an Prosa, Theaterstücken und Gedichten entstand, wobei der Autor durchwegs zeitgleich an mehreren Projekten arbeitete. Vom Theaterautor war zuletzt in unserer Region das Stück Hunt oder Der totale Februar zu sehen; vom Romancier erschien im Vorjahr bei seinem Stammverlag Zsolnay der viel beachtete umfangreiche Roman Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik. Die Literaturkritik rühmte das anschauliche Ausleuchten des “Bösen der Banalität”. Im Zentrum des groß angelegten Panoramas steht die Figur eines “liebenswürdigen wie fettleibigen Hitlerianers” namens Oswald Mephistopheles Wuthenau. Allein schon dieser Name stellt den Hang der Franzobel’schen Sprache zum Barocken aus, einer Sprache, die zum überborden und Wuchern neigt. Diese findet in Franzobels letzter Prosa in der arabesken Handlungsführung seine ebenso barocke Ergänzung. Franzobels Sprache verliert nie den Bodensatz des Spiels, sie ist durchwirkt von Neologismen und Kalauern, nichts bleibt oder gilt, sondern wird in einem unermüdlichen Prozess des Schreibens und überschreibens verdreht und verzerrt. “Das Körperliche unterminiert bei Franzobel alle Metaphysik.” So der Kritiker Oliver Jungen, der auch anmerkt, wie dieser Roman die Frage nach der Relevanz des freien Willens verhandle, die jedoch stets überwuchert werde von einer ins Kraut schießenden Kreativität. Soeben ist im Ritterverlag der Band Der Schwalbenkönig erschienen, in dem Franzobel den Fußball thematisiert. Franzobel ist Mitglied der MAERZ und hat unsere neue Stätte im Jahr 2003 mit anderen literarisch eingeweiht. Er wird u. a. aus dem Schwalbenkönig, durchtränkt mit ein paar kleineren neuen Texten, lesen.
Michael Lentz, geboren 1964 in Düren (Nordrhein-Westfalen), lebt in Berlin. Lentz promovierte mit einer Arbeit über Lautpoesie/-musik nach 1945 und hat sich seither u. a. um die Vermittlung von bis dahin nur wenig im deutschen Sprachraum präsenter Arbeiten wie etwa denen des französischen Lettrismus bemüht. Der Autor ist selbst als Vortragskünstler und als Musiker (Sprecher, Saxophonist) aktiv, so etwa im Ensemble des Komponisten Josef Anton Riedl, aber auch mit Münchner Musikerfreunden für seine letzte CD Sprechakte X/TREME, 2005). Ein musikalisches Denken ist nicht nur in seinen ‚Sprechakten’ (s. u.) explizit, sondern ablesbar auch seiner bei Fischer publizierten Prosa und Lyrik. Zuletzt erschienen dort 2003 der Gedichtband Aller Ding und der Roman Liebeserklärung. Auch für diese Arbeiten gilt, dass Lentz auf eine Sprachakrobatik zurückgreift. Doch wird hier das Sprachspiel zum Mittel der Darstellung. So ist Liebeserklärung ein kompromissloser Bericht einer Beziehung als “Planspiel einer völlig entglittenen Entzweitheit”. Und es ist ein Monolog. Dieser sei total egozentrisch, doch gerade darum überzeugend, schrieb die Kritik. Der Autor mit Hang zur Selbstinszenierung, schon 1995 und 1998 bei uns zu hören gewesen, betitelt seine Lesung in der Künstlervereinigung mit “Sonst Gedächtnis. Neue Prosa und Sprechakte“. Unter letzteren versteht er ein akustisches Genre, in dem das Material Sprache zum Handlungsträger wird. Es sind Sprachtumulte unter verschiedenen Artikulationsgeschwindigkeiten. Lentz’ Sprachfluss ist dem Konstrukt ebenso verpflichtet wie einer mündlichen Sprache, die stockt, neu ansetzt und ausufert, ohne den entstehenden Sog, diesen dehnend oder beschleunigend, zu verlassen. Nicht Wortneuschöpfungen wie bei seinem Bachmannpreisträgerkollegen Franzobel vernehmen wir, sondern Satzkaskaden aus Modulationen und Repetitionen einer bewusst wortschatzarm gehaltenen Sprache.
Dank an: Land OÖ, Stadt Linz, BKA, GAV