Einladung zur Ausstellung
Hi! How are you?
Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt die MAERZ Künstlerund
Künstlerinnenvereinigung „Hi! How are you?” der in Wien lebenden ukrainischen
Künstlerin Anastasiya Yarovenko.
Ausstellungseröffnung am 21.06.2022, 19.00 Uhr
Begrüßung: Rainer Noebauer-Kammerer (MAERZ)
Zur Ausstellung spricht: Sarah Jonas (Lentos Kunstmuseum Linz)
Hallo, wie geht es Ihnen? Gut?
Ja natürlich, was soll man auch anderes auf diese Frage antworten, die genau so beiläufig wie obligatorisch an den Beginn vieler Begegnungen und Gespräche gestellt wird.
Doch was ist, wenn das eigene Land seit dem 24. Februar im andauernden Kriegszustand ist? Wenn fremde Truppen die eigene Heimat bombardieren, Bekannte oder Familienmitglieder vermisst werden, Frauen vergewaltigt und Menschen getötet werden? Was antwortet man dann auf diese vermeintlich harmlose Frage des Gegenübers: „Hallo, wie geht’s?“
Die Künstlerin Anastasiya Yarovenko stellt den Gedanken an diese so alltägliche Situation aus ihrer persönlichen Perspektive als ukrainische Künstlerin an den Beginn der Ausstellung. Sie konfrontiert uns mit der Absurdität dieser für die meisten als harmlos geltenden Norm zwischenmenschlicher Kommunikation und thematisiert dabei die Schwierigkeit, ihre eigenen Emotionen und Gedanken in Bezug auf den Krieg in der Ukraine zum Ausdruck zu bringen.
Das Aufzeigen und damit gleichzeitige Hinterfragen von gesellschaftlichen Normen wie dieser ist wichtiger Teil ihrer künstlerischen Praxis. Yarovenko versucht, Räume im erweiterten Sinne und deren Beziehung zum Menschen, neu zu vermessen. Was heißt es norm-al zu sein? Ein Begriff der ständig dazu genutzt wird, unsere Welt zu beschreiben, diese aber gleichzeitig eingrenzt und strukturieren.
In ihrer Werkschau in der MAERZ sind neben älteren Arbeiten auch Werke zu sehen, die speziell für diesen Anlass entstanden sind:
Betrachten wir die Papierarbeiten an den Wänden der Galerieräume sehen wir abstrakte Kreuzformen, zackige Liniengefüge und unzusammenhängende Musterungen. Wir stellen uns Fragen über Bildaufbau, künstlerische Technik oder auch, welche Motive den Werken zugrunde liegen. Wir wissen nicht, was sie zeigen, wir können es auf den ersten Blick und in unserer Situation als Betrachtende nicht nachvollziehen.
Wer das Werk der Künstlerin kennt, der weiß, dass ihre konzeptuellen Arbeiten sehr sensibel auf aktuelle politische Gegebenheiten reagieren. Als Vorlage dienten Yarovenko mediale Bilder des Ukraine-Kriegs, wie auch wir sie seit Februar im Fernsehen, in Zeitungen und den sozialen Netzwerken vermittelt bekommen. Mithilfe der künstlerischen Technik der Frottage, hat sie einzelne Elemente dieser Kriegsfotografien in abstrahierter Form auf das Papier gebracht. So versteckt sich hinter den sternenförmigen Musterungen am Papier das Motiv von Panzer-igel, wie man sie mittlerweile in allen Teilen der Ukraine findet. Die gekreuzten Spuren zeigen Abdrücke von Panzern im Boden, die sich auch in einer weiteren Arbeit, auf der langen Rolle weißen Papiers widerfinden. Andere Werke bilden die Fassaden zerbombter Häuser ab und die kreuzförmigen Muster sind Grabkreuze, wie man sie an den verschiedenen Schauplätzen der Kampfhandlungen überall findet: Denn aufgrund von Flucht und fehlenden Ressourcen sind die Menschen dazu gezwungen, ihre im Krieg ermordeten Freunde und Familienmitglieder in improvisierten Gräbern auf Kinderspielplätze oder am Straßenrand mit einfachen Holzkreuzen beizusetzen.
Yarovenko verwendete die medial vermittelten Bilder und transformierte sie mithilfe der Frottage zu zweidimensionalen, abstrakten Bildwerken. Die einzelnen Bildelemente schnitt sie aus Holz mit einem Lasercutter aus und nutzte die Negativ- und Positivformen als Unterlage ihrer Grafiken.
In gewisser Weise zeigt dieser künstlerische Prozess der Abstraktion auch Parallelen zur Realitätsvermittlung medialer Bilder auf. Auch wenn Susan Sontag in ihrem Essay „Das Leiden anderer betrachten“ sagt, dass der Kriegsfotografie in ihrer Rolle als Vermittlerin eine Unmittelbarkeit und Autorität zukäme, die jeder sprachlichen Darstellung überlegen ist, können diese Bilder dennoch nur einen Bruchteil der Wirklichkeit fassbar machen. So viel bleibt ungesagt, vor allem, wenn uns die persönlichen Bezüge fehlen.
Der Frottage-Technik kommt eine besondere Bedeutung in der künstlerischen Umsetzung zu: Sie erlaubt eine Form des künstlerischen Automatismus in der Werkproduktion. Denn auch in Bezug auf den Ukrainekrieg stellt sich die im medialen und künstlerischen Diskurs so oft diskutierte Frage, wie man den Krieg, das unglaubliche Leid und den Schmerz visuell darstellt? Welche Bilder zeigt man? Welche Bilder produziert man?
Als Grundlage dienen hier bereits vorhandene Bilder, die die Künstlerin entfremdet und abstrahiert. Dem künstlerischen Schaffensprozess selbst haftet dabei etwas Meditatives an. Über 50 Stunden hat Yarovenko an den Frottagen gearbeitet. Diese weitgehend automatisierte Form künstlerischer Produktion ermöglichte es ihr, eine gewisse Distanz einzunehmen, indem sie der eigenen Hand freien Lauf ließ.
Neben diesen neu entstandenen Werken zeigt die Künstlerin Teile ihrer Installation Mimikry, für die sie 2015 den Preis der Kunsthalle Wien erhielt. In der Arbeit verknüpft Yarovenko gestalterische Aspekte mit Fragen nach Mobilität, Obdachlosigkeit und Flucht. Die einzelnen Bestandteile bilden die Ausstattung einer Zimmereinrichtung: eine Mischung aus praktischen und abstrakt-dekorativen Elementen. Diese lassen sich in einer Kiste verpackt überall mit hinnehmen. Dadurch lässt sich auch in Momenten des Nomadischen oder der Flucht ein Ort des Zu-Hause-Seins ermöglichen.
Wie auch in ihren anderen Arbeiten beschäftigt sich das Werk ausgehend vom Raum mit der Beziehung des menschlichen Körpers zu gesellschaftlichen Strukturen und Verhaltensweisen. Dabei bedient sie sich des Rasters als formales Mittel, um sowohl die Oberfläche der Gegenstände, das Innere des Raums als auch soziale Kontexte fassbar zu machen.
Wenn sie nach dieser Ausstellung von Anastasiya Yarowenko neugierig geworden sind, darf ich noch einen kurzen Ausblick auf ein Projekt in unmittelbarer Nähe geben: Die Künstlerin hat im Außenraum des Lentos die Ausstellung „Can you see what I see“ mit 5 ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern kuratiert. Diese wird am 28 Juni (heute in einer Woche) ebendort eröffnen. Auch hier eine herzliche Einladung.
An dieser Stelle möchte ich mich jetzt noch einmal sehr herzlich bei Anastasiya Yarovenko für die Möglichkeit bedanken, heute über ihre Werke zu sprechen und möchte hiermit die Ausstellung eröffnen.
© Sarah Jonas
Biografie: Anastasiya Yarovenko (*1983)
Aufgewachsen in der Ukraine, studierte sie an der Akademie der Bildenden Künste Wien bei
Amelie von Wulffen, Silke Otto-Knapp, Henning Bohl und Kirsi Mikkola (Diplom). In ihren
Arbeiten beschäftigt sie sich mit der Beziehung des Körpers zu gesellschaftlichen Strukturen
und Verhaltensweisen, zu Raum und Umgebung. Mit Bezug zu politisch-sozialen Realitäten
versucht sie, das Feld der Bedürfnisse und Notwendigkeiten zu überdenken, zu erweitern
und deren unmittelbare Grenzen zu erkunden.
Öffnungszeiten der Ausstellung:
Ausstellungsdauer: 22. Juni bis 15. Juli 2022
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 15.00 –18.00 Uhr