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NUMBERED, WEIGHED, DIVIDED

22. Februar 2022 @ 19:00 - 11. März 2022 @ 21:30

Irena Eden & Stijn Lernout, Gabi Mitterer, Karin Maria Pfeifer und Sula Zimmerberger
 
 
Warum habe ich den Eindruck ideale Formen präzise denken zu können, finde sie aber weder in der Natur noch der Kunst, auch nicht in der, die ich selbst schaffe? Die Künstler*innen der Ausstellung Numbered, Weighed, Divided eint das Bedürfnis, diese Frage in actu lösen zu wollen. Ihre Werke sind Ausdruck der authentisch erlebten, objektiven „Klarheit“ einer Einsicht, die nichtsdestoweniger nicht im außergedanklichen Medium dargestellt werden kann. Die Realität erweist sich als subjektiver als die Subjektivität. Obwohl verortbar im kunsthistorischen Genre abstrakter Kunst, die von den Künstler*innen auch bewusst in Kauf genommen wird, steht ihre geometrische Abstraktion nicht so sehr im Dienst wahrnehmungspsychologischer Experimente. Kubismus, Fotocollage, Op-Art und Hard-Edge blicken um die Ecke und nicken freundlich, aber nicht mehr. Schließlich gilt die Suche der Darstellbarkeit struktureller Einsichten, die keinem Sinneskanal zugeordnet werden können. Es geht um den Versuch, innerlich sehr deutlich Empfundenes eine kristalline objektive Form zu geben. (Text Thomas Raab)
 
 
am Dienstag, 22. Februar 2022, 19.00 Uhr
Begrüßung: Rainer Nöbauer-Kammerer (MAERZ)
Zur Ausstellung spricht: Thomas Raab (*Graz, Schriftsteller)
 
 
Künstler- und Künstlerinnenvereinigung MAERZ, Eisenbahngasse 20, A-4020 Linz, Tel: +43 / (0)732 / 771786
Ausstellungsdauer: 23. Februar – 11. März 2022, Öffnungszeiten: Di – Fr: 15.00 – 18.00 Uhr
Eine Kooperation mit dem Kunstraum fl at1 in Wien

Es gelten die aktuellen Covid–19 Regeln.

Numbered, Weighed, Divided
Irena Eden & Stijn Lernout, Gabi Mitterer, Karin Maria Pfeifer und Sula Zimmerberger
in der Künstler- und Künstlerinnenvereinigung MAERZ, Linz, 23.2.2022 bis 11.3.2022

Für mich ist einer der faszinierendsten Gedanken in der Erkenntnistheorie folgender.
Obwohl ich, wenn ich die Axiome verstanden habe, einen rechten Winkel (oder jedes
andere geometrische Merkmale wie einen Punkt, eine Gerade, einen platonischen Körper
usf.) im Geist konstruieren kann und dadurch den Eindruck bekomme ihn innerlich
zu „sehen“, findet man ihn (und alle diese idealen Merkmale) in der äußeren empirischen
Realität nicht. Noch nie – bitte stellen Sie sich das vor! – hat eine Maurerin, nicht
einmal ein Präzisionsmechaniker je einen rechten Winkel gebaut oder genau messen
können. Freilich „sehen“ wir solcherart da draußen, aber das ist die Projektion der idealen
geometrischen Vorstellung!
Es geht hier also um die praktische Unübersetzbarkeit theoretisch eindeutiger
und kulturell universeller Einsichten. In der rechnerischen Geometrie, um die es gerade
nicht geht, lässt sich dies allerdings didaktisch ganz klar darstellen: Die Diagonale
eines Quadrats ergibt sich aus der Quadratwurzel der zweifachen Quadratwurzel der
Seitenlänge d = sqrt (2*a2) oder, gekürzt, d = a*sqrt 2. Nun ist sqrt 2, also die Quadratwurzel
von 2 (wie auch jene von 3) keine rationale, als Bruch darstellbare Zahl! Das
bedeutet, dass obwohl mein Fliesenleger permanent quadratische Fliesen verlegt, die
Länge der Diagonale dieser Fliesen gar nicht berechenbar (und schon gar nicht messbar)
ist!
Und jetzt kommt’s. Obwohl also die Anwendung der Mathematik in der Natur
subjektiv sein muss, funktioniert sie dort immerhin innerhalb solcher (Mess- und Statistik-)
Grenzen, dass technische Eingriffe bis hin zur Nanotechnologie möglich sind.
Objektiv ist allerdings und kurioser Weise ausgerechnet nur unser mathematischer
Geist! Kurz, die Theorie ist – entgegen unserer Intuition – objektiver als die Praxis.
Eine Vermutung: Diese Diskrepanz hat jene Künstler*innen, die „nah am Reiz“
arbeiten oder, besser, die sich „auf den Reiz ausreden“ können (bildende, aber auch
Musiker*innen und, mit Abstrichen, experimentelle Dichter*innen), seit Beginn der
Moderne in die so genannte „Abstraktion“ geführt. Wie kann ich die Stimmungslage des
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eigenen ästhetischen Einfalls (der ja, siehe oben, objektiv erscheint) in ein Werk veräußern,
sodass andere sich mit mir an diesem Einfall erfreuen können? Die Frustration,
dass dies nie gelingt, weil es nicht gelingen kann, ist, denke ich, von Produzent*
innenseite her betrachtet Hauptmerkmal, Schönheit und Elend der abstrakten
Kunst.
Ich weiß, dass das ein bisschen zu cool klingt. Wenn man aber bedenkt, dass das
Problem der Abstraktion schon das „décor“ der griechischen Handwerker oder jeder
Hochkultur, die in ihren Riten zwecks Steigerung der Ergriffenheit den Teilhaber*
innen geometrisch abstrahierte „Geistformationen“ bieten und vorhalten wollten,
verfolgte, und auch Wilhelm Worringer 1908 in seinem Klassiker Abstraktion und Einfühlung
die Abstraktion religiös verstand, dann erscheint die Abstraktion weniger modern
als als anthropologisches Problem, das „gekommen ist, um zu bleiben“.
Warum habe ich den Eindruck ideale Formen präzise denken zu können, finde
sie aber weder in der Natur noch der Kunst, auch nicht in der, die ich selbst schaffe?
Die Künstler*innen der Ausstellung Numbered, Weighed, Divided eint das Bedürfnis,
diese Frage in actu lösen zu wollen. Ihre Werke sind Ausdruck der authentisch erlebten,
objektiven „Klarheit“ einer Einsicht, die nichtsdestoweniger nicht im Außergedanklichen,
in einem „Medium“ dargestellt werden kann, denn Einsichten haben kein
Medium. Als Einsicht erleben wir direkt eine plötzliche Kompaktifizierung unserer Orientierung,
der neurophysiologischen Kalibrierung des Gehirns. Die Realität erweist
sich also als subjektiver als die Subjektivität.
Obwohl verortbar im kunsthistorischen Genre abstrakter Kunst, das von den
ausstellenden Künstler*innen auch bewusst in Kauf genommen wird, steht ihre geometrische
Abstraktion nicht so sehr im Dienst wahrnehmungspsychologischer Experimente.
Kubismus, Fotocollage, Op-Art und Hard-Edge blicken um die Ecke und nicken
freundlich, aber nicht mehr. Schließlich gilt die Suche der Darstellbarkeit struktureller
Einsichten, die keinem Sinneskanal zugeordnet werden können. Es geht um den Versuch,
innerlich sehr deutlich Empfundenem eine kristalline objektive Form zu geben.
Irena Eden und Stijn Lernout destilleren allgemeine Formen der Verflochtenheit
und Schichtung von Vorstellungen und ihren Träger*innen in schräg geometrische Allgemeinanalogien,
die uns die Schönheit von plötzlichen Einsichten in komplexe Probleme,
wie schnappschussartig und vorläufig diese sein mögen, nahe legen. Diese Einsichten
legen sich im Erlebnis, wie auf Eden und Lernout Gemälden angedeutet, wie
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spontane Topographien über die Wirklichkeit der Probleme. Letztere finden die Künstler*
innen in umfangreichen künstlerisch sozialpolitischen Recherchen, die sie auch in
Gemeinschaftsprojekten organisieren.
Gabi Mitterer versucht sich an quasi topologischen Darstellungen natürlicher,
an Geologie und Mineralogie erinnernder Prototypen im zwei- und dreidimensionalen
Raum, die sie aus den Schwierigkeiten ableitet, die sich aus der analog-händischen Umsetzung
von digital und grafisch schlicht scheinenden (weil mathematisch errechneten)
Reizkonfigurationen ergeben. Eine Farbe in Photoshop zu mischen oder sich von
der passenden Software ein Objekt rendern zu lassen, hat so gut wie nichts damit zu
tun, einen vorgestellten Farb- und Geometrieeindruck auf die Leinwand oder in ein
dreidimensionales Objekt umzusetzen. Der Hinweis auf den Verlust von diesbezüglichem
Wissen durch die historisch erwiesene Entwertung weiblich konnotierter Techniken
wird von Mitterer auch als feministische Praxis verstanden.
Karin Maria Pfeifer erinnert mit ihrer Installation BLUEPRINT an einen Süßwarenklassiker
der Siebzigerjahre in Österreich, namentlich Pez, der seinerzeit in markanten
Blechautomaten an vielen Stellen zu kaufen war. Die zehnfache Vergrößerung
der Packungen und weißen Bonbons verweist auf die Dimensionslosigkeit des Erinnerungserlebens
und des Vorstellens an sich. Wir meinen unser „sensorisches Feld“ sei
ausgefüllt, obwohl es, wie anhand meines Geometriebeispiels klar werden sollte, gar
kein sensorisches Feld ist, sondern das Erleben einer strukturellen Erkenntnis, die hier
sehr stark den Aspekt vergangener Zeit mit sich führt.
Sula Zimmerberger versucht, das Idealistische an der Fotografie deutlich zu machen.
Von der Malerei kommend erkennt sie auch auf Fotografien das Künstliche – es
ist wiederum das, was man mit Bildmitteln gar nicht darstellen kann. Ihr Anspruch,
sich dennoch klar auszudrücken und zu kommunizieren, äußert sich in Fotomanipulationen
(z.B. Schichtungen oder geometrische Schnitte), die den oder die Betrachtende/
n auf die Konstruiertheit selbst seines Seherlebnisses hinweisen.
Thomas Raab, Februar 2022

Details

Beginn:
22. Februar 2022 @ 19:00
Ende:
11. März 2022 @ 21:30
Veranstaltungskategorie:

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